(Inter-)kulturelle Aspekte der Mediation

. IV

1                 Einführung. 1

1.1             Die Ziele und die Struktur der Arbeit 1

1.2             Die Relevanz des Themas. 1

2                 Begriffe der (Inter-)Kultur. 2

2.1             Von den Werten zur Kulturdimension – Begriffsbestimmungen. 2

2.2             Mediation als Methoden- und Handlungskonzept 6

3                 Kulturalität in der Mediation. 9

3.1             Universales vs. kulturelles vs. kulturneutrales Handlungskonzept 9

3.2             Kulturelle Einflüsse in der Mediation. 13

3.3             Beständigkeit von Bedürfnissen und Motivation. 19

3.4             Chancen und Risiken des (inter-)kulturellen Handlungskonzepts. 22

4                Zusammenfassung 

. 18

 

1            Einführung

Das gesellschaftliche, das wirtschaftliche und auch das private Zusammenleben der Menschen wird zunehmend durch die Vielfalt kultureller Einflüsse bestimmt. Der Zuzug von Menschen aus Ländern der ganzen Welt sowie die kulturelle Vielfalt in Arbeitskollektiven bestimmen in der Gegenwart das gesellschaftliche Klima. Für eine konfliktfreie Zukunft der modernen Gesellschaften ist es deshalb wichtig, sich mit den Werten und Grundsätzen fremder Kulturen zu beschäftigen, um sich deren Bedeutung für den Entstehungsprozess und für die Bearbeitung von Konflikten bewusst zu werden.

1.1            Die Ziele und die Struktur der Arbeit

In Anlehnung an die Gedanken von Dr. Kriegel-Schmidt (Interkulturelle Mediation: Plädoyer für ein Perspektiven-reflexives Modell) beschäftigt sich diese Arbeit mit der Frage der Kulturalität (bzw. Interkulturalität aus der Perspektive der Außenorientierung) der Mediation. Mit einer Antithese zur These soll die Arbeit klären, ob ein universales bzw. kulturneutrales Konzept der Mediation möglich ist. Sie liefert dabei auch Denkansätze dafür, welche Vor- bzw. Nachteile sich aus einem kulturellen Ansatz der Mediation ergeben können.

Dazu werden nach einer kurzen Einführung zum Thema im zweiten Abschnitt für den Umfang und das Verständnis der Arbeit notwendige Begriffe geklärt. Der dritte Abschnitt stellt dann die einzelnen Konzepte gegenüber und leitet daraus einige Vor- und Nachteile der kulturellen Konzepte ab. Im vierten Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und Stellung zu These und Antithese genommen.

1.2            Die Relevanz des Themas

Kriegel-Schmidt weist in ihrer diskursiven Betrachtung des Themas „Interkulturelle Mediation“ auf die unterschiedlichen Perspektiven von Wissenschaftlern und Praktikern hin.  In der Diskussion werden zwei grundlegende und gegensätzliche Handlungskonzepte der Mediation deutlich, die in dieser Arbeit als These und Antithese gegenübergestellt werden:

  • These: 

Die Mediation ist ein kulturneutrales und damit universell einsetzbares Konzept der außergerichtlichen und eigenverantwortlichen Konfliktbearbeitung. 

  • Antithese:

Die Mediation ist kein universell einsetzbares Konzept der außergerichtlichen und eigenverantwortlichen Konfliktbearbeitung. Der langfristige Erfolg der Mediation erfordert die Berücksichtigung und Akzeptanz kulturprägender Werte und Einstellungen der Konfliktparteien.

Zur Bearbeitung der Thesen, soll auf einige Fragen zurückgegriffen werden, die Kriegel-Schmidt während ihres einführenden Diskurses formulierte:

·         „Gibt es zu den für die Mediation gewohnten Abläufen zusätzliche Ebenen, die betrachtet werden müssen, wenn die Parteien in der Konfliktbearbeitung unterschiedlicher kultureller Herkunft sind?“ [1]

·         „Welche Herausforderungen ergeben sich in der Mediation, wenn die Konfliktparteien aus unterschiedlichen Kulturen kommen?“ [2]

·         „Welche kulturellen Konzepte bestimmen Mediation als Methode, als vorausgedachten Handlungsplan?“ [3]

2            Begriffe der (Inter-)Kultur

„In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte man in der Sozialanthropologie die These, dass alle Gesellschaften, gleich ob modern oder traditionell, mit den gleichen Grundproblemen konfrontiert sind; lediglich die Antworten sind unterschiedlich.“[4]

2.1            Von den Werten zur Kulturdimension – Begriffsbestimmungen

Werte widerspiegeln sich in allem, was der Mensch zu geben bereit ist, um seine Bedürfnisse zur Erhaltung, Entfaltung und Erfüllung seines Lebens zu befriedigen. Sie sind das Ergebnis eines soziokulturellen Entwicklungsprozesses, welcher von der Mehrheit einer Organisation akzeptiert wird. Dieser ist historisch bedingt und somit relativ und veränderbar. Veränderungen der Bedürfnisse des Menschen haben eine Veränderung seines Wertesystems zur Folge. Die Beurteilung von Werten setzt also das bewusste Erleben und die Fähigkeit zur Klassifikation von Ereignissen und Erfahrungen sowie zur Selbst­reflexion voraus und verändert das Denken und Handeln der Menschen. Auf materieller, moralischer und sozialer Basis entwickelt sich ein Wertesystem des Einzelnen und der Gesellschaft, welches zu allgemeinen und grundlegenden Orientierungsmaßstäben für individuelles Handeln sowie zur Entstehung  gesellschaftlich anerkannter Normen führt. An der Spitze dieses Wertesystems  stehen die Grundwerte der Organisation.[5] Oft werden diese Orientierungsmaßstäbe und Grundwerte in der Umgangssprache als Paradigmen im Sinne von Vorbild, Weltanschauung oder Weltsicht, bezeichnet. Die unterschiedlichen Werteorientierungen der Menschen geben an, welche der in der Gesellschaft (z.B. ihrer Lebenswelt) vorherrschenden Werte für sie Priorität erlangen (z.B. Religion, Kultur, Weltanschauung).[6] Der engere Kulturbegriff der 1. Moderne geht davon aus, dass jeder Mensch fast gleichzeitig einer Vielzahl sozialer Gruppen angehört, deren grundlegende Orientierungssysteme in verschiedenen Kulturebenen auf das Individuum wirken (u.v.v.):

·         Nationale Ebene (z.B. Staat, Nation, Land)

·         Regionale Ebene (z.B. ethnische, religiöse, sprachliche Zugehörigkeit)

·         Ebene des Geschlechts (männlich, weiblich, homo-/bisexuell)

·         Ebene der Generation (z.B. Abgrenzung von Kind, Jugendlich, Eltern, Großeltern)

·         Ebene der sozialen Klassen (z.B. Arbeit, Bildung, Beruf)

·         Ebene der Organisation (z.B. Abteilung, Unternehmen, Art der Sozialisation der Beschäftigten durch berufliche Tätigkeit)

Aus empirischen Forschungen und alltägliche Erfahrungen ist bekannt, dass diese verschiedenen Ebenen nicht zwangsläufig vereinbar sein müssen. So wird z.B. oftmals die Ebene des Geschlechts mit den alltäglichen Praktiken des beruflichen und gesellschaftlichen Lebens (Ebene der Organisation) als unvereinbar empfunden.[7]

Die Standards einer Kultur (Paradigmen) können auf bestimmte Kulturdimensionen menschlichen Verhaltens zurückgeführt werden. Jede Kulturdimension stellt einen Aspekt einer Kultur dar, der sich im Verhältnis zu anderen Kulturen messen lässt. So kann eine Kulturdimension dadurch beschrieben werden, dass z.B. der Kulturstandard „Sachbezogenheit“ zwischen den zwei Extremen – „überhaupt nicht sachbezogen“ bis „ausschließlich sachbezogen“ - auf einer Skala von 0 bis 100 quantifiziert wird, auf der sich dann die einzelnen Kulturkreise lokalisieren und miteinander vergleichen lassen.[8] Wie auch G. Hofstede geht M. R. Hammer von Kulturdimensionen aus, auf deren Skalen sich unterschiedliche Kulturen einordnen lassen. Für die Einordnung der unterschiedlichen Konfliktkulturen schlägt er ein Modell mit zwei grundlegenden Dimensionen vor: direkte vs. indirekte Kommunikation und die Offenlegung vs. des Verbergens von Emotionen. Wie in Abb. 1 ersichtlich, können daraus vier grundsätzliche Konfliktstile abgeleitet werden.


Abb. 1: Modell interkultureller Konfliktstile nach M.R. Hammer [9]

Das von Loenhoff vorgeschlagene triadische Kulturkonzept ermöglicht es mit seinen drei Dimensionen (mentale, materiale und situative), „Kultur sowohl als wichtige Größe in gesamtgesellschaftlichen und historischen Prozessen, als auch als handlungsleitenden Faktor in der konkreten Interaktion einzuführen und damit zu klären, welchen Beitrag sie für das Gelingen von Kommunikation leistet.“[10] Diesem Konzept entsprechend erfordert verständliche Kommunikation die dynamische Entwicklung und das Zusammenwirken aller drei Dimensionen.

Hansen beschreibt einen kollektivistischen Ansatz (erweiterter Kulturbegriff der 2. Moderne), bei dem durch die gleichzeitige und übergreifende Mitgliedschaft jedes Menschen in mehreren Kollektiven, (z.B. Nation, Stadt, Unternehmen bis Familie) Netzwerke entstehen. Es kann gezeigt werden, welchen Einfluss die Grundwerte und Einstellungen der vernetzten Kollektive auf die Entstehung und Weiterentwicklung von kollektiver Kultur (z.B. i.S. von Kultur als Lebenswelten [11]) sowie auf die Entwicklung von Individualität und Persönlichkeit der Kollektivmitglieder (Der Mensch als Produkt seiner vernetzten Lebenswelt) haben u.v.v. Dabei werden die Kollektive entsprechend der Zugehörigkeit der betrachteten Menschen in Kollektive 1. Grades (z.B. Peergroup), 2. Grades (z.B. Nation, ethnische Gruppen) und 3. Grades (Dachkollektiv mehrerer Kollektive 1. Grades, z.B. DRK-Organisation mit Ortsverbänden) eingeteilt.[12] Sich ändernde Bedürfnisse der Menschen dieser Kollektive (z.B. durch veränderte Lebenssituationen) führen zu Veränderungen im individuellen bzw. im Wertesystem der Lebenswelt. Indikatoren dafür ergeben sich deshalb durch das Beobachten wertgerichteten Denkens und Handelns der Menschen sowie daraus resultierender Produkte (z.B. Handlungskonzepte, materielle und geistige Güter).[13] Zu Konflikten kommt es dann, wenn die Lebenswelten als homogene, voneinander isolierte und von Außeneinwirkungen unbeeinflusste Kulturen dargestellt oder vergleichend bewertet werden, da jede Kultur das Produkt interkultureller Prozesse ist.[14] Ursache für Konflikte zwischen den Kulturen sind individuelle Wahrnehmungen, denn das Erlebte wird aufgrund von Erwartungen, Vorurteilen und Intensionen verifiziert. Ausgehend von den jeweiligen kulturspezifischen Orientierungssystemen der Lebenswelten wird die Situation von den Akteuren unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert und daraus resultierend das individuelle Denken, Empfinden und Handeln beeinflusst. Die vielfältigen und bedeutungshaltigen  Funktionen der Orientierungssysteme sind das Ergebnis von Sozialisierungsprozessen, in denen Zeichen und Symbole zur interpersonellen Verständigung so gut internalisiert wurden, dass eine unmissverständliche und konfliktfreie Kommunikation innerhalb der jeweiligen Lebenswelt (z.B. Kollektiv 1. Grades) möglich ist. Dies schließt die Ableitung und Bewertung der Wünsche, Ziele, Hoffnungen, Intentionen und emotionalen Befindlichkeiten aus dem Gesamtkontext der Situation sowie die kompetente Reaktion auf diese ein. Die Handelnden gehen (auf der Basis ihrer Grundwerte und Einstellungen) davon aus, dass Ihre Wahrnehmung, deren Bewertung und ihre daraus resultierende Reaktion richtig sind (Wahrheitspostulat), gesittet sind (Gerechtigkeitspostulat), adäquat sind (Rationalitätspostulat) und von allen Menschen gleichermaßen gehandelt würde (Universalitätspostulat). Weichen die Orientierungssysteme (und damit auch die Grundwerte und Einstellungen) der interagierenden Lebenswelten voneinander ab, sodass die Zeichen und Symbole der interpersonellen Kommunikation von den Handelnden unterschiedlich interpretiert werden, führt dies zu unterschiedlicher Wahrnehmung und Interpretation des Partnerverhaltens.[15]

I.d.S. besteht also Kultur als Lebenswelt aus verschiedenen ungeschriebenen Regeln des sozialen Zusammenlebens und umfasst alle Denk-, Fühl- und Handlungsmuster sowie daraus resultierende geistige und materielle Produkte, die aus den Grundwerten und Maßstäben der Orientierungssysteme vernetzter Kollektive resultieren. Sie ist ein kollektives Phänomen, da sie (als evolutionärer Prozess betrachtet) von der Mehrzahl der Mitglieder der gleichen sozialen Gemeinschaft gelernt und weiterentwickelt sowie unter diesen geteilt bzw. weiter gegeben wird.[16] Sie kann also als ein wertbestimmtes Orientierungssystem der Mitglieder der jeweiligen Lebenswelten verstanden werden, welches für sie sinnstiftend ist, deren Identität und Zugehörigkeit in erheblichem Maß definiert und deren Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst sowie dieses aber auch aktiv weiterentwickeln.[17]

2.2            Mediation als Methoden- und Handlungskonzept

„Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.“[18] Der Mediator ist dabei „eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt.“ [19] Er verhält sich allparteilich und fördert die Kommunikation der Parteien.[20]

Diese, dem Mediationsgesetz entnommene Definition beschreibt Mediation als Methode der außergerichtlichen Konfliktbeilegung. Dabei zeichnet sich der zum Teil zirkuläre Prozess durch ein planvolles, systematisches und zielorientiertes Handeln der Akteure aus, welches sich in der Struktur des Verfahrens (z.B. Phasenmodell) wiederspiegelt. Auch wenn jeder Mediationsprozess den jeweiligen Kontextbedingungen angepasst werden muss, handelt es sich nicht um situativ-spontanes Handeln, sondern um systematische und wiederholbare Abläufe. Das Ziel der Methode ist es dabei, die Interaktion der Konfliktparteien zielführend zu beeinflussen, um sie durch die Offenlegung ihrer individuellen Bedürfnisse im Konflikt zu einer fairen, eigenverantwortlich erarbeiteten Vereinbarung (i.S. einer Win-Win-Situation) zu führen. Dabei beschreibt die Methode „Mediation als strukturiertes Verfahren“ lediglich den Handlungsablauf. Dies reicht jedoch nicht aus, denn um seinen Auftrag zu erfüllen, muss sich der Mediator überdies auch mit seiner Rolle im Mediationsprozess als allparteilicher Dritter und der damit untrennbar verbundenen persönlichen Haltung (z.B. allparteilich, ressourcenorientiert, verschwiegen, ergebnisoffen, etc.) identifizieren und sein Handeln an den zahlreichen Kontextbedingungen (z.B. Prämissen eines angemessenen Umgangs, Voraussetzungen und Ziele der Zusammenarbeit) anpassen. Dazu stehen ihm verschiedene Werkzeuge der Mediation (z.B. theoretische Grundlagen und Erfahrungen sowie Interventions-, Kommunikations- und Verfahrenstechniken) zur Verfügung. Für den Erfolg der Mediation ist es also notwendig, nicht alleine die Methode oder die verwendeten Werkzeuge zu betrachten, sondern Mediation als ein zirkulares Handlungskonzept des Zusammenspiels mehrerer Elemente zu verstehen [21] (siehe Abb. 2).


Abb. 2: Mediation als Handlungskonzept nach K. Kriegel-Schmidt  [22]

Für den Umfang dieser Arbeit werden 4 unterschiedliche Handlungskonzepte unterschieden:

·         Das universelle Handlungskonzept geht davon aus, dass dieses weltweit und auf jede Form von Konflikten und Mediation anwendbar ist.

·         Dem steht das kulturelle Handlungskonzept gegenüber, welches jeden vom Konflikt betroffenen (z.B. Konfliktparteien und Mediator) als Individuum einer Kultur versteht, die sein Denken, Fühlen und Handeln prägen. 

·       Das kulturneutrale Handlungskonzept ist sich der kulturellen Aspekte der Mediation (wie zuvor beschrieben) ggf. bewusst, berücksichtigt diese (die kulturelle Lebenswelt des Mediators ethnozentrisch zugrunde legend) während des Mediationsprozesses jedoch nicht.

·      Das interkulturelle Handlungskonzept berücksichtigt (als besondere Form des kulturellen Handlungskonzeptes) die Zugehörigkeit der Akteure zu deren individuellen Lebenswelten (i.S. von vernetzten Kollektiven 2. Grades und. explizite Kollektive 1. Grades mit besonderen Lebensumständen z.B. Taub, Stumm, Blind, Autismus, andere relevante Behinderung) und deren daraus resultierenden Spezifika der Interaktion (z.B. Emotionen, Kommunikation, Handeln).

Auf die jeweilige Relevanz der Handlungskonzepte für die Mediation wird in den nachfolgenden Abschnitten dieser Arbeit eingegangen.

3                Kulturalität in der Mediation

„Viele interkulturelle Missverständnisse und Probleme resultieren daraus, dass man sich der Kulturgebundenheit der eigenen und der Wahrnehmung seines fremdkulturellen Partners nicht hinreichend bewusst ist: Es werden Dinge und Sachverhalte unhinterfragt als „normal“ angesehen, die für die Wahrnehmungsgewohnheiten des anderen keineswegs plausibel sind.“[23]

3.1            Universales vs. kulturelles vs. kulturneutrales Handlungskonzept

Immanuel Kant legte 1787 als deutscher Philosoph der Aufklärung mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ die Grundlagen für die Entwicklung einer Kulturphilosophie sowie einer bis heute gültigen Erkenntnistheorie.[24] Demnach lässt sich das gesamte Interesse der Vernunft in 3 Fragen formulieren: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Dabei bezieht sich gerade die erste Frage auf die menschliche Erkenntnis der Wirklichkeit seiner Lebenswelt, welche durch das Zusammenwirken der Erkenntniswerkzeuge (Sinne und Vernunft) abgebildet wird. So werden die Eindrücke der Erkenntniswerkzeuge nicht einfach wiedergegeben, sondern die erkannten Dinge mit Hilfe einer vermittelnden Vorstellung  in eine bestimmte, für den Menschen verständliche Ordnung gebracht (z.B. räumliche, zeitliche, moralische etc. Wahrnehmung). Die wichtigste Erkenntnis Kants und die Wissenschaft hierin war, dass der menschliche Verstand das Maß aller Dinge ist und der Mensch durch diese vermittelnde Vorstellung also an der Natur nur erkennen kann, was seine Vernunft vorher in sie hineininterpretiert hat („Kopernikanische Wende“). „Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellektuell, andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transzendentale Schema.“[25] Es besteht aus den von Erfahrung unabhängigen Kategorien und Prinzipien (Raum, Zeit, Kausalität und Ästhetik) und bildet so in deren Zusammenwirken „ein transzendentales Sittengesetz, eine zeitlose, universelle Moral, die sich daraus ableiten lässt.“[26] - die letztendlich von jedem Menschen unterschiedlich wahrgenommene kulturelle Lebenswelt, welche seine Werte und Einstellungen, sein Denken und Handeln, die Art und Weise seiner Kommunikation sowie die Eigenschaften geistiger und materieller Güter zweckorientiert bestimmt. Ausgehend von dieser Erkenntnis kann festgestellt werden, dass die (räumlich, zeitlich, ästhetisch und kausal) selbe Wahrnehmung eines Dinges (z.B. Gegenstand, Ereignis) von jedem Menschen abhängig von der Individualität seines transzendentalen Schemas (z.B. Kultur, Lebenswelt)  unterschiedlich interpretiert wird und zu unterschiedlichen Emotionen und Handlungen führt. Bolten beschreibt dies am Beispiel eines kleinen Kindes, welches zum ersten Mal in seinem Leben einem Zebra begegnet. Da der Grundsatz gilt, dass alles einen Sinn und seine Ordnung haben muss, würde das Kind (den Unterschied bewusst wahrnehmend) das Tier als ein seltsam gestreiftes Pferd beschreiben.[27] „Offenkundig ist in diesem Zusammenhang, dass die Wahrnehmungen dabei Erfahrungs- und Begriffssystemen zugeordnet werden, die in vollkommen anderen Zusammenhängen entstanden sind. Auf diese Weise werden eingehende Erfahrungen interpretativ so manipuliert, dass sie ‚irgendwie‘ dem eigenen Denksystem angepasst werden.“[28] Wahrnehmung vollzieht sich also in der Verknüpfung von Erfahrungen und Erwartungen, bei der eingehende Informationen mit bereits vorhandenen Schemata verglichen und zu einer konstruierten Realität zusammengefügt werden. Wie aus dem Beispiel des Zebras deutlich wird, werden dabei (mit dem Ziel der Normalität, Plausibilität und Geordnetheit) auch „ungerechte“ Kategorisierungen vorgenommen, weshalb die individuelle Wahrnehmung immer interpretatorisch und subjektiv zu bewerten ist.[29]

Bezogen auf die Mediation bedeutet dies, dass ein Ereignis durch das individuelle transzendentale Schema der Akteure  unterschiedlich bewertet, also ein Unterschied in der Vorstellung von dem Ereignis erzeugt wurde, der zu differenten Wahrnehmungen und in der Folge zu missverständlichem Denken und Handeln der Konfliktparteien geführt hat. Des Weiteren kann daraus auch abgeleitet werden, dass der Prozess der Konfliktentstehung und Konfliktbeilegung und die damit verbundene Kommunikation der Konfliktparteien untereinander wie auch mit dem Mediator, von deren kulturellen Lebenswelten beeinflusst werden. Evolutionär betrachtet entwickelt demnach jeder Konflikt  seine eigene Dynamik und wird von kulturell bedingten Emotionen, Handlungen und Reaktionen beeinflusst, die sich z.B. in individuellen Konfliktlösungsstrategien (vgl. V. Satir, M. R. Hammer, F. Glasl)  äußern.

Vor diesem Hintergrund ist Mediation also als universelles Methodenkonzept, nicht aber als universelles Handlungskonzept vorstellbar, auch wenn dies auf den ersten Blick von den Akteuren so nicht wahrgenommen wird (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Trennung von Methoden- & Handlungskonzept der Mediation [30]

Auch das strukturierte Verfahren in Form des Phasenkonzeptes, wie es für den Mediationsprozess gelehrt und angewendet wird, könnte mit Einschränkungen noch als ein rationales und dadurch universelles Grundgerüst der Konfliktbearbeitung gewertet werden. Jedoch beeinflussen die Lebenswelten und die daraus resultierenden Menschenbilder (z.B. Selbst- und Fremdbild) die persönliche Haltung der Akteure im Konflikt sowie deren Verständnis zur Rolle der Konfliktbeteiligten und des Mediators im Klärungsprozess. Sie machen deutlich, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, sondern viel mehr unterschiedliche Realitäten in individuellen Lebenswelten bestehen, welche es gemäß den Grundsätzen der Allparteilichkeit und Ergebnisoffenheit zu respektieren gilt.  Um den Mediationsprozess erfolgreich führen und die Bedürfnisse der Konfliktparteien herausarbeiten zu können, müssen deshalb (nicht nur) die Techniken zur Umsetzung des Verfahrens (z.B. Kommunikations- und Fragetechniken) an die individuellen Bedürfnisse und Konfliktlösungsstrategien der Akteure angepasst werden.[31]

Anders als das universale ist jedoch ein kulturneutrales Handlungskonzept der Mediation denkbar. Um die individuelle Handlungsfähigkeit zu sichern, werden oft Komplexitäten sozialer Realitäten reduziert und generalisierte Annahmen über das individuelle Umfeld gebildet bzw. akzeptiert. Reduziert man z.B. die Komplexität individueller vernetzter Lebenswelten auf die Kultur von isolierten Kollektiven 1. bzw. 3. Grades (z.B. Unternehmen und Organisationen) und weiter zu oftmals klischeebehafteten Kulturen von Nationen usw., so kann man West-Europa auch als eine von seiner Umwelt isolierte kulturelle Einheit verstehen, in der die individuellen kulturellen Lebenswelten der Menschen dieser europäischer Nationen (z.B. Deutschland, Frankreich, Großbritannien) nur noch eine untergeordnete Rolle für den Mediationsprozess spielen (Zoom-Faktor der Perspektive). Man geht davon aus, dass sich die Medianden dann bei gleicher Kollektivzugehörigkeit (z.B. Mitarbeiter der Daimler AG oder auch „die Deutschen“ bzw. „die Europäer“) als Akteure des gleichen Kulturkreises, mit den gleichen Grundwerten und Einstellungen verstehen, auf deren Basis sich der Konflikt entwickelt hat und auch beigelegt werden kann. Individuelle Unterschiede werden von den Akteuren in einem solchen Mediationsprozess nur selten wahrgenommen und deshalb das Handlungskonzept als kulturneutral empfunden. Ein solches Handlungskonzept kann z.B. gerade bei kulturell sehr heterogenen Gruppen-Mediationen (größere Anzahl von Akteuren) erfolgreich sein. Jedoch wird dabei die Autonomie der Medianden vernachlässigt und es wird davon ausgegangen, dass der Einfluss von Kultur auf den Mediationsprozess durch die Selbstwahrnehmung und Deutung der Akteure selbst bestimmt wird. So nehmen sich die Menschen West-Europas überwiegend als  „rationale, nach ökonomischen Wirkprinzipien organisierte Individuen“[32] wahr, die bei der Fülle täglicher Entscheidungen übersehen, wie begrenzt ihr Entscheidungsspielraum ist. Anderenfalls wird angenommen, dass die kulturelle Lebenswelt des Mediators die einzig bestimmende für den Prozess der Konfliktbearbeitung ist und sich die Konfliktparteien dieser kulturellen Lebenswelt anpassen können bzw. müssen (ethnozentrisches Weltbild).[33] Dementsprechend werden auch die Sicht auf den Konflikt und die Bedürfnisse der Konfliktparteien sowie mögliche Lösungsoptionen auf den kulturellen Horizont des Mediators begrenzt. Die Toleranzfähigkeit und Flexibilität der Akteure wird  eingeschränkt und aufgrund mangelnder Interpretationsmöglichkeiten wird unbekanntes nicht toleriert bzw. als stereotyp oder falsch bewertet. Der Mediationserfolg wird dann verfälscht bzw. gänzlich infrage gestellt.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass zwangsläufig durch die Interaktion verschiedener individueller Kulturen für jede Mediation ein (inter-)kultureller Hintergrund angenommen werden muss, denn der Mediator unterstellt dem Mediationsprozess nicht sofort (inter-) kulturelle Aspekte. Die Soziologie geht davon aus, dass jeder Konflikt in seinen Ursachen im gesellschaftlichen Kontext zu betrachten ist. Deshalb können Konflikte im (inter-)kulturellen Blickwinkel ausschließlich evolutionär (d.h. als Entwicklungsprozess) betrachtet werden. Jeder Konfliktverlauf wird demnach (bewusst oder unbewusst) von den vernetzten Kulturen der Akteure beeinflusst. Das Problem jedoch ist, dass die Auswirkungen kultureller Interaktionen als Konfliktursache vor der Mediation nicht bekannt bzw. nur als Hypothese des Mediators zu formulieren sind. Auch wenn somit grundsätzlich jedem Konflikt kulturelle Differenzen unterstellt werden können, müssen diese durch die Akteure vor allem wahrgenommen werden. Ob kulturelle Interaktionen die tatsächliche Ursache des Konfliktes sowie für dessen Entwicklungsprozess verantwortlich sind, kann erst im Verlaufe der Mediation herausgearbeitet werden. Erst wenn diese als Ursache des Konfliktes (z.B. Verletzung von Grundwerten) bzw. im Verlauf des Mediationsprozesses an Relevanz gewinnen (z.B. Emotionen, Kommunikation, Weltbild), werden sie zum Gegenstand der Mediation. Für die Beurteilung, welches Handlungskonzept sinnvoll einzusetzen ist und ob es sich um eine interkulturelle Mediation handelt, sind also vor allem die Wahrnehmung der Akteure, das Verständnis des Kulturbegriffs - also die Perspektive und der Zoom des Mediators ausschlaggebend. Je weiter der Kulturbegriff gefasst wird, desto kulturneutraler wird das Handlungskonzept des Mediationsprozesses – mit all seinen beschriebenen Einschränkungen.[34]

3.2            Kulturelle Einflüsse in der Mediation

„Durch Mediation soll mit Hilfe eines Dritten Verständigung zwischen zwei im Konflikt miteinander befindlichen Personen ermöglicht werden.“[35] Zur Verdeutlichung der Bedeutung der Kultur für die Kommunikation zwischen den Akteuren (Medianden und Mediator) soll die Anwendung des triadischen Kulturkonzeptes von Loenhoff auf das Konzept der Kultur als Lebenswelt helfen.

Leonhoff begreift Kultur als ein dynamisches, funktions- und adaptionsfähiges System. Die Sprache und deren Struktur leisten darin einen Beitrag zur Charakterisierung der Kultur, jedoch umfasst die Sprache nicht das gesamte Potential kultureller Deutungsmuster, da es nur ein (wichtiges) Zeichensystem unter vielen anderen ist. Deshalb ging er 1992 mit seinem triadischen Kulturkonzept davon aus, dass jedwede Verständigung die Gesamtheit der mentalen (phänomenologisch-hermeneutische), der materialen (Artefakt bezogene) und der pragmatisch-situativen (handlungstheoretisch-pragmatischen) Dimensionen des Kulturbegriffs erfordert.

·         Die mentale (sinnstiftende) Dimension der Kultur beeinflusst das Verhalten und die Kommunikation der Akteure durch deren Werte, Einstellungen und Weltbild. Sie bildet somit eine Handlungs- und Verhaltensorientierung in der Lebenswelt der Akteure, indem sie Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen generiert. Sie beeinflusst somit den Konfliktverlauf aufgrund wertebestimmter Bedürfnisse (z.B. Religion, Menschenrechte, Verfassung, Unternehmenskultur usw.) und setzt Präferenzen für Lösungsoptionen.

·         Der materialen Dimension wird die Gesamtheit von Artefakten zugeordnet, welche zum Träger von Sinn und Bedeutung und somit auch zum materiellen und geistigen Ausdruck von Kultur werden. Sie manifestiert sich nicht nur in Ritualen, Traditionen und künstlerischen Kulturleistungen. Sie drückt sich auch z.B. in der Art, der Gestaltung und dem Gebrauch moderner Medien, Gebrauchsgegenständen, Werkzeugen und Maschinen sowie Nahrungs- und Konsumgütern aus. (z.B. Bibel/ Koran/Talmud; Besteck vs. Stäbchen; Pferdewagen vs. Sattelschlepper usw.) Als materielle und geistige Symbole der Kultur können sie zum Auslöser von Konflikten werden (z.B. Kopftuchverbot, Karikaturen zu Heiligen, symbolische Verbrennung von heiligen Schriften usw.) bzw. Kommunikations- und Lösungsoptionen während der Mediation einschränken.

·         Die pragmatisch-situative Dimension beschreibt Kultur in der expliziten Handlungs- und Kommunikationspraxis, in der gemeinsame Orientierungssysteme durch die Interpretation und Anwendung von Deutungs- und Verhaltensmustern geschaffen werden. Mit dem Ziel der Kommunikation werden Zeichen mit Zeichenfunktionen verbunden und auf den jeweiligen Kontext der Situation bezogen.[36]

(z.B. verbale Sprache und Rethorik, Körpersprache, Schriftsprache, Umgang mit Emotionen usw.) Die unterschiedliche Wahrnehmung und Interpretation von Verhaltensmustern und Zeichen führt zu Irritationen und Missverständnissen, die den Konfliktverlauf beeinflussen und die Kommunikation im Mediationsprozess  erschweren.

Demnach muss die kulturelle Lebenswelt der Akteure einer Mediation durch das dynamische Zusammenspiel dieser drei Dimensionen bestimmt werden. Werte, Einstellungen und Weltbild finden in den Artefakten und Symbolen der Lebenswelt sowie in der Handlungs- und Kommunikationspraxis der Akteure ihren Ausdruck. Dieses Zusammenspiel hat ebenfalls Einfluss auf Emotionen, Charakter und das Konfliktverhalten der Akteure während der Konfliktentwicklung und der Mediation. M. R. Hammer leitete 1994 z.B. aus den Verhaltensmustern „Direktheit“ und „Emotionalität“ mögliche Konfliktstile der Akteure ab (vgl. Abb. 1):

·         Akteure mit dem „Discussion Style“ kommunizieren sehr direkt und (re-)agieren im Konflikt emotional sehr zurückhaltend. Sie benutzen bzw. erwarten während der Mediation eine sehr klare Kommunikation der Sachverhalte des Konfliktes, während sie ihre Emotionen verbergen. Die Bedürfnisebene der Medianden wird deshalb nur mit Geduld und vielen „Frageschleifen“ zu öffnen sein.

·         Auch Akteure mit dem „Engagement Style“ benutzen bzw. erwarten eine klare Kommunikation der Sachverhalte. Während der Konfliktentwicklung und während der Mediation würden sie sich stark konfrontativ und emotional offen verhalten. Diese Akteure würden im Extremfall der Konfliktentwicklung „vor nichts zurückschrecken“ (z.B. die Mediation auch zu ihrem eigenen Nachteil abbrechen).

·         Akteure des „Accommodation Styles“ kommunizieren im Konflikt indirekt und ohne Emotionen. Sie weisen auf die Natur des Konfliktes hin, ziehen es aber vor, dass ein Vermittler (z.B. der Mediator) den Konflikt löst. Einen emotionalen Ausbruch im Konfliktverlauf oder während der Mediation würden sie als potenziell gefährlich wahrnehmen und sich zurückziehen.

·         Akteure mit dem „Dynamic Style“ (re-)agieren im Konflikt indirekt und emotional. Sie benutzen Übertreibungen und Wiederholungen oder verwenden nonverbale, aber dafür stark emotional-konfrontative Ausdrucksformen, was den Konflikt verschärfen und den Verlauf einer Mediation stark beeinträchtigen kann.[37]

Vergleichbare Modelle der Konfliktstile wurden z.B. auch von V. Satir und F. Glasl beschrieben, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.

Die Aufgabe des Mediators ist es, ausgleichend auf das Konflikt- und Kommunikationsverhalten der Medianden einzuwirken. Dabei helfen ihm verschiedene Perspektiven auf die individuellen Persönlichkeiten und kulturellen Lebenswelten der Medianden.

Kriegel-Schmidt geht davon aus, dass das Handlungskonzept der Mediation durch das Menschenbild (als Gesamtheit dessen was ein Mensch ist oder tut) bestimmt wird. Dieses ist (subjektiv betrachtet) das Ergebnis eines moralischen Ideals, welches z.B. als Deutungsangebot westeuropäischer Kulturen die Entscheidungsfreiheit jedes Menschen und seinen (von der Gesellschaft beeinflussten) Individualisierungsprozess durch permanente Identitätsarbeit  postuliert (vgl. erweiterter Kulturbegriff der 2. Moderne). Damit bildet es nicht nur die kognitive Basis für individuelles Handeln, daraus resultiert auch das persönliche Erleben der individuellen Lebenswelt. Dabei werden Handlungs- und Deutungsspielräume der Akteure jedoch durch die individuell bzw. gesellschaftlich zur Verfügung stehenden materiellen und geistigen Ressourcen beeinflusst. Während z.B. relativer Wohlstand Handlungsspielräume zulässt und zu Entscheidungen zwingt, werden Individuen und Gruppen mit knappen Ressourcen an die Einhaltung kollektiver Normen gebunden. Diese z.B. durch soziale Unterschiede operationalisierbare Erfahrung kann innerhalb von Kollektiven 1. und 3. Grades, aber auch auf Kollektive 2. Grades weiterverwendet und für die Ermittlung von Bedürfnissen sowie für die Bewertung von Lösungsoptionen eingesetzt werden.[38]

Aber auch für die Verhandlung von Lösungsoptionen ist diese Erfahrung von großer Bedeutung. Lehmkuhl beschreibt in ihrer Publikation „Zur kulturwissenschaftlichen Fundierung der Analyse außenpolitischen Entscheidungsverhaltens*“ den Zusammenhang von Verhandlungsstil und Verhandlungsmacht, welche aus dem durch Ressourcen begrenzten Handlungsspielraum resultiert. In dem von ihr verwendeten Kulturkonzept geht sie von zwei Dimensionen aus. Die kognitive Dimension beinhaltet handlungsleitende Ideen, die noch nicht institutionalisiert (also gedacht, aber nicht umgesetzt) wurden. Die handlungspraktische Dimension beinhaltet alle real zur Verfügung stehenden kulturellen Handlungsoptionen. Darin bilden Normen und Werte soziologische Institutionen mit formalen und informalen verhaltenssteuernden Regeln und den sich daraus entwickelnden Akteursqualitäten. Sie beinhalten aber auch intervenierende Variablen, welche den Entscheidungsprozessen einen begrenzenden Rahmen verleihen.[39] Für die Durchsetzung von Interessen stellt sie schlussfolgernd zwei, von der Verhandlungsmacht abhängige Verhandlungsmodi gegenüber (siehe Abb. 4):


Abb. 4: Verhandlungsmodi zur Durchsetzung von Interessen [40]

Für die Mediation mit Akteuren unterschiedlicher Verhandlungsmacht (resultierend aus dem einseitigen Übergewicht an materiellen und geistigen Ressourcen bzw. aus einem Hierarchieverhältnis) bedeutet dies, dass durch den Mediator in den einzelnen Phasen der Konfliktbearbeitung nicht nur die Bedürfnisse, sondern vor allem auch die Argumentation der Akteure zur individuellen Bedeutung der Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden muss, sodass in der Folge dann während der Phase der Verhandlung von Lösungsoptionen argumentativ und weniger aus Machtpositionen heraus kommuniziert und entschieden werden kann.

Der Konstruktivismus bestimmt auch ein weiteres von Kriegel-Schmid beschriebenes Handlungskonzept der Mediation. Das konstruktivistische Konzept der Wirklichkeit geht davon aus, dass es keine objektive Realität gibt, diese also auch nur eine Konvention bedeuten muss (vgl. Kant, Decartes). Demnach gibt es auch keine vom Akteur unabhängige Realität, die Medianden haben also lediglich unterschiedliche Perspektiven auf die vermeintlich selbe Wirklichkeit, sodass keiner der Akteure im Recht bzw. im Unrecht ist. Somit haben diese unterschiedlichen Wahrnehmungen grundsätzlich ihre Berechtigung, besitzen aber keinen Anspruch auf Objektivität. Das Handlungskonzept sieht also vor, durch unterschiedliche Fragetechniken die unterschiedlichen Positionen nachzuvollziehen und mit einer wertschätzenden Grundhaltung anzuerkennen, um den Mediationsprozess für Gesprächsthemen öffnen und nach gemeinsamen Lösungsoptionen für den Konflikt suchen zu können. Weiter geht das konstruktivistische Handlungskonzept davon aus, dass es auch einen Zusammenhang von Wirklichkeitskonstruktion und Kommunikation gibt, sodass die „gestaltende Kraft sprachlichen Handelns“[41] an Bedeutung gewinnt. In der Umsetzung des Handlungskonzeptes durch den Mediator wird dies deutlich, indem der Mediator die kommunizierten Streitpositionen oder Forderungen in neutrale Themen umformuliert. Dadurch werden Ablehnung provozierende Problemstellungen zu Themen, die eine ergebnisoffene Basis für Gespräche der Konfliktparteien schaffen.[42]


Abb. 5: Verschiedene Elemente des Handlungskonzepts Mediation durch den Perspektivgeber Konstruktivismus nach K. Kriegel-Schmiedt [43]

Die Abb. 5 gibt einen Überblick zum Handlungskonzept der Mediation durch den Perspektivgeber Konstruktivismus, welches noch über die hier beschriebenen hinaus weiter Perspektiven ermöglicht (z.B. sozial- bzw. radikal konstruktivistisch).

3.3            Beständigkeit von Bedürfnissen und Motivation

Ziel des Mediationsprozesses ist es, die Bedürfnisse der Medianden herauszuarbeiten, welche dem Konflikt zugrunde liegen. Aufgrund des gegenseitigen Verständnisses bzw. mindestens der gegenseitigen Akzeptanz der Bedürfnisse der Konfliktparteien sollen dann mit geeigneten Lösungsoptionen diese Bedürfnisse befriedigt und so Motivation zur Beilegung des Konfliktes geschaffen werden. Wie durch die Bedürfnispyramide Maslows[44] dargestellt, werden jedoch die Hierarchie und die Beständigkeit der Bedürfnisse von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Auch ist zwischen Defizit- und Wachstumsbedürfnissen zu unterscheiden. Stellt sich also die Frage, ob die Nachhaltigkeit einer Konfliktlösung vom „Lebenszyklus“ der mit der Mediation zu befriedigenden Bedürfnisse beeinflusst wird. Für die Klärung dieser Frage sollen die folgenden Konventionen getroffen werden.

Bedürfnisse sind Ausdruck eines empfundenen Mangels und bilden die Basis für Motivatoren (i.S.v. Dispositionen) des Handelns zur Erreichung wertebestimmter Ziele (z.B. zur Beseitigung des Mangels). Die Präferenzen zur Beseitigung des Mangels werden kontextabhängig durch die kulturelle Lebenswelt und die Individualität der Akteure sowie deren temporäre Lebensumstände beeinflusst. Sie basieren auf einem Konglomerat aus individuellen und gesellschaftlichen Werten, die für den Umfang dieser Arbeit einem operativen und einem Grundwertesystem zugeordnet werden können. Wie in Abschnitt 2.1 beschrieben, ist das Grundwertesystem in langfristigen soziologischen Entwicklungsprozessen, Symbolen und Traditionen der sozialen Gemeinschaft (i.S.v. z.B. Religion, Kollektive 3. Grades) verankert. Es bestimmt die kulturelle Identität der Akteure und kann damit auch langfristig als stabile Basis für die Herausbildung von Motivatoren zur Beseitigung eines empfundenen Mangels in der individuellen Lebenswelt der Akteure angesehen werden. Darüber hinaus wird für den Umfang dieser Arbeit angenommen, dass das operative Wertesystem („operative Werte“ sind hier nicht identisch mit Ch. Morris 1956[45]) als Wertehierarchie zu verstehen ist, die dem alltäglichen, sich dem situations- und dem kontextabhängigen Entscheidungs- oder Präferenzverhalten unter sich kurz- und mittelfristig dynamisch verändernden Umfeldbedingungen zugrunde liegt. Es beinhaltet alle die Werte, die (dem jeweiligen kulturellen Verständnis entsprechend) nicht dem Grundwertesystem zuzuordnen sind. Dieses operative Wertesystem verändert sich durch die Gesamtheit komplex wirkender Faktoren, welche die Lebenssituation der Akteure im jeweiligen Kontext beeinflussen (u.v.v.). Als individuelle temporäre Lebenssituation können z.B. angeführt werden:

·         Zugehörigkeit zu einer Organisation (z.B. Börse vs. DRK)

·         Zugehörigkeit zur Peer Group (Apple vs. Microsoft)

·         Spezielle Berufsfelder (z.B. Mediation vs. Rechtsprechung)

·         Spezielle Funktionen (z.B. Rettungsschwimmer vs. Rechnungsprüfer)

·         Individuelle Lebenssituation (Manager vs. Arbeitslos)

Während also (den geschilderten Annahmen folgend) das Grundwertesystem die kulturellen Lebenswelten und die Identität der Akteure langfristig und emotional bestimmt, besteht eine kulturelle und kontextuelle Wechselwirkung zwischen dem operativen Wertesystem und der temporären Lebenssituation der Akteure. Welche Werte im Einzelnen den Grund- bzw. den operativen Wertesystemen zuzuordnen sind, wird durch die jeweilige kulturelle Lebenswelt der Akteure bestimmt.

Für die Mediation bedeutet dies, dass Lösungsoptionen, die auf lebensweltbestimmende Grundwerte gerichtet sind, nachhaltiger wirken, als Lösungsoptionen, welche die Beseitigung eines Mangels in der Lebenssituation der Medianden zum Ziel haben. Im kulturneutralen Handlungskonzept ist diese Erkenntnis ohne Bedeutung, da der Mediator (ethnozentrisch seine kulturelle Identität zugrunde legend) die lebensweltbestimmenden Grundwerte der Medianden nicht (an-)erkennen bzw. falsch interpretieren würde. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Bedürfnisse der Medianden in jeder Mediation bis auf die von Grundwerten geleiteten Bedürfnisse zurückzuführen ist. Wie durch die Arbeit mit den Annahmen deutlich gemacht, ist nicht jede spezifische Handlung der Medianden auf kulturelle Werte und Normen zurückzuführen, sondern vielmehr, weil sie eben in der jeweiligen Situation und im dazugehörigen Kontext angemessen und sinnvoll erschien. Rackwitz beschreibt dazu Handlungserklärungen in drei Typen (siehe Abb. 6). Grundlage für das Handlungskonzept bildet hier eine sinngebende Wissensordnung. Daraus resultierende Handlungsmuster werden dann von Normen und Werten bestimmt. Letztlich beeinflusst die Zweckorientierung  resultierend aus Zielen und Wünschen sowie Informationen und Überzeugungen das tatsächliche Handeln.[46] Auch hier kann davon ausgegangen werden, dass die kulturtheoretische und die normorientierte Ebene eine nachhaltigere Basis für Lösungsoptionen der Medianden bieten, als dies in der zweckorientierten Ebene der Fall ist.


 

Abb. 6: Drei Typen der Handlungserklärung [47]

Für das (inter-)kulturelle Handlungskonzept (welches erst greift, sobald kulturelle Aspekte in einer Mediation relevant werden) können diese Erkenntnisse trotzdem wichtig sein, wenn sich ein Konflikt, der sich auf die Lebenssituation der Medianden auswirkt, aber seine wahre Ursache in deren Lebenswelt zu suchen ist. Dann kann es sich (mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Lösung) lohnen, nicht nur die zu befriedigenden Bedürfnisse auf der Ebene der operativen Werte (bzw. der Zweckorientierung), sondern auch die noch darunter liegenden Bedürfnisse der Grundwerte (bzw. der Normen und Wissensordnungen) zu erforschen, da diese oft nur im Unterbewusstsein der Medianden wirken.  

3.4            Chancen und Risiken des (inter-)kulturellen Handlungskonzepts

Ziel des Mediators ist es, das Vertrauen der Medianden zu gewinnen, deren Kommunikation zielführend zu fördern und durch geeignete Fragetechniken deren Bedürfnisse zu ermitteln. Diese Ziele wird er erreichen, wenn ihm kulturelle Unterschiede bewusst werden und er angemessen und kompetent (re-)agieren kann. Darin verbergen sich für die Mediation viele Chancen, aber auch verschiedene Risiken:

Während das kulturneutrale Handlungskonzept diesen Ansprüchen nur bedingt gerecht wird, weil es Spielräume für Kommunikation, Problem- und Bedürfnisanalyse sowie Lösungsoptionen beschränkt, wird durch die Perspektivenvielfalt des (inter-)kulturellen Handlungskonzepts der Problemhorizont des Mediators erweitert. Daraus ergeben sich viele Chancen, den Mediationsprozess zu steuern und zum Erfolg zu führen.

Der Mediator wird mit dem (inter-)kulturellen Handlungskonzept in die Lage versetzt, kompetent nachzufragen, Handlungsmuster und Emotionen richtig zu bewerten sowie auch kulturbedingte Aspekte des Konfliktes zu thematisieren. Durch sein Interesse für die Probleme und Bedürfnisse der Medianden gelingt es ihm, deren Vertrauen zu gewinnen. Mit dem kulturellen Handlungskonzept ist der Mediator in der Lage, seine Kommunikation auf die individuellen Bedürfnisse und Erwartungen der Medianden auszurichten sowie deren Kommunikation untereinander zu unterstützen. Dadurch werden vor allem die Werte- und Normen der Medianden geachtet wie auch deren Identität und Individualität gewahrt. Der Ressourcenhorizont zur Lösung des Konflikts wird erweitert und damit neue Quelle für Lösungsoptionen erschlossen.

Da die kulturbestimmenden Werte der Medianden nur selten unmittelbar von deren Äußerlichkeiten (z.B. durch Symbole) abgelesen werden können bzw. schon mit Beginn der Mediation bekannt sind, muss der Mediator diese von deren Handlungsmustern und Konfliktverhalten ableiten. Werden diese falsch interpretiert oder stimmt die Erwartungshaltung des Mediators aufgrund von Wissen und Erfahrungen oder bekannter Klischees nicht mit dem tatsächlichen Verhalten der Medianden überein, kommt es zu folgenschweren Missverständnissen, die den Erfolg einer Mediation gefährden können. Gerade Akteure, die bereits seit einigen Jahren in der fremden Kultur leben (z.B. Türken in Deutschland), versuchen sich ggf. den Handlungsmustern dieser Kultur anzupassen und verhalten sich anders als erwartet. Die Irritation durch die Missdeutung der jeweiligen Handlungsmuster (z.B. als nachäffen, evt. auch als unerwartete Reaktion) führt dann bei den Medianden wie auch beim Mediator zu Unsicherheiten und Vertrauensverlust. Die Kommunikation während des Mediationsprozesses wird gestört und das Mediationsziel nicht erreicht.

Der Mediationsprozess erfordert vom Mediator ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für die kulturellen Bedürfnisse und Probleme der Medianden sowie für die Struktur des Prozesses. Mit dem Fokus auf die individuellen kulturellen Lebenswelten der Akteure kann ggf. der Blick für die Konfliktwirklichkeit verloren gehen. Die Systematik und Struktur des Mediationsprozesses als Methode sowie das Vermögen des Medianden, sich aktiv auf die Probleme und Bedürfnisse zu konzentrieren, wird ggf. beeinträchtigt. Gerade in einem Gruppenmediationsprozess, bei dem mehrere verschiedene kulturelle Lebenswelten interagieren, kann dadurch zwar der Konflikt als Prozess analysiert und bearbeitet werden. Die kulturelle Heterogenität der Gruppe kann aber auch dazu führen,

·         … dass zu viele „neue Türen“ geöffnet werden und der eigentliche Konflikt, die ursprünglichen Probleme und Bedürfnisse der Medianden aus dem Fokus der Mediation geraten. Die Zielstellung der Mediation muss dann mit dem Auftraggeber neu definiert und der Mediationsauftrag neu geklärt werden.

·         … dass die Struktur des Verfahrens verloren geht und somit der Mediationsprozess für die Akteure als chaotisch wahrgenommen wird. Dies führt zu Unsicherheiten bei den Akteuren und das Mediationsziel kann voraussichtlich nicht mehr erreicht werden.

4                Zusammenfassung

„Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.“[48] Der Mediator ist dabei „eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt.“ [49] Er verhält sich allparteilich und fördert die Kommunikation der Parteien.[50] Sein Ziel muss es demnach sein, die Interaktion der Parteien zielführend zu beeinflussen, um sie durch die Offenlegung ihrer Bedürfnisse im Konflikt zu einer fairen, eigenverantwortlich erarbeiteten Vereinbarung (i.S. einer Win-Win-Situation) zu führen.

Mit der Trennung von Methoden- und Handlungskonzept des Mediators kann festgestellt werden, in welchem der beiden Konzepte kulturelle Aspekte für den Konfliktverlauf sowie für den Prozess der Konfliktbearbeitung relevant werden können. Dabei wurde deutlich, dass es kein universelles Handlungskonzept sondern allenfalls ein universelles Methodenkonzept der Mediation geben kann. Die Medianden beurteilen die vermeintlich selbe Wirklichkeit aus unterschiedliche Perspektiven. Da die Handlungen der Akteure immer ein Resultat kulturell geprägter Deutung bzw. Interpretation der Wahrnehmung sind, wird das Handlungskonzept des Mediators durch seine kulturelle Lebenswelt sowie durch seine Fähigkeit, auf die kulturellen Lebenswelten seiner Medianten einzugehen, geprägt sein. Die kulturelle Perspektive der Akteure sowie ihre individuelle Wahrnehmung entscheiden letztlich über die Relevanz bzw. den Grad der Kulturalität / Interkulturalität des Mediationsprozesses.

·         Stellungnahme zur These:

Die Mediation ist ein kulturneutrales und damit universell einsetzbares Konzept der außergerichtlichen und eigenverantwortlichen Konfliktbearbeitung.

Die Frage nach Universalität von Mediation beantworten zu können, ist es notwendig, das Mediationsverfahren in sein methodisches und sein Handlungskonzept aufzuteilen. Dabei wird deutlich, dass zwar das methodische Konzept der Mediation universell eingesetzt werden kann, das Handlungskonzept jedoch immer von den kulturellen Lebenswelten der Akteure (i.S.v. Medianden und Mediator) beeinflusst wird. Die unterschiedliche Perspektive der Akteure auf die Konfliktursachen sowie deren durch ihre Lebenswelt geprägtes Konfliktverhalten, bestimmen im Weiteren auch den Konfliktverlauf. Ein kulturneutrales und damit universelles Handlungskonzept ist deshalb aus wissenschaftlicher Sicht unrealistisch. Da es die Identität und die Individualität der Medianden vernachlässigt, können die unterschiedlichen Perspektiven der Medianden sowie deren Interessen und Bedürfnisse nicht ausreichend erfasst und berücksichtigt und befriedigende Lösungsoptionen erarbeitet werden. In diesem Sinne schließt letztlich schon die allparteiliche Haltung des Mediators das universelle Handlungskonzept aus.

Das kulturneutrale Handlungskonzept ist für den nichtsensibilisierten Akteur bzw. unter besonderen Bedingungen (z.B. Zoom-Faktor der Perspektive) denkbar, führt aber durch die ethnozentrische Perspektive des Mediators und die starke Reduktion von Komplexität zu erheblichen Einschränkungen in der Konfliktbearbeitung (z.B. Themensammlung, Bedürfnisse, Lösungsoptionen). Der Erfolg solcher Mediationen hängt dann stark von der Selbstwahrnehmung der Akteure (i.S.v. Medianden und Mediator) ab (z.B. Selbstwahrnehmung als Europäer, als IBMler).

„`Wer nur mit einer Zange zu hantieren weiß, findet überall Nägel.‘  

   In der Tat, wer partout ‚Mediation‘ finden will, findet sie überall und schreibt

   dann eben eine ‚europäische Geschichte der Mediation‘“.[51]

  • Stellungnahme zur Antithese:

Die Mediation ist kein universell einsetzbares Konzept der außergerichtlichen und eigenverantwortlichen Konfliktbearbeitung. Der langfristige Erfolg der Mediation erfordert die Berücksichtigung und Akzeptanz kulturprägender Werte und Einstellungen der Konfliktparteien.

Die kulturelle Mediation ermöglicht es den Akteuren (i.S.v. Medianden und Mediator), ihre Perspektive auf den Konflikt und dessen Ursachen sowie auf die kulturellen Lebenswelten der Medianten zu erweitern. Die Kommunikation zwischen den Medianden wird durch die nun erklärbare Deutung von verbaler und nonverbaler Sprache (z.B. Zeichen und Symbolen) gefördert und den Akteuren wird es möglich, neben den Ursachen auch den Prozess der Konfliktentwicklung zu erkennen. Jedoch wird nicht jede Mediation von Beginn an als (inter-)kulturelle Mediation behandelt. Medinanden gleicher Kulturen werden keine kulturellen Differenzen wahrnehmen und das Handlungskonzept des Mediators erscheint kulturneutral. Interkulturell wird die Situation oder Kommunikation erst durch die Interaktion von Angehörigen verschiedener kultureller Lebenswelten, bei denen Zeichen und Symbole sowie Werte und Einstellungen der Akteure voneinander abweichen. Erst wenn der Mediator die Notwendigkeit erkennt, also z.B. die Unterschiedlichkeit der kulturellen Lebenswelten der Medianden deren Wahrnehmung beeinflusst und so für den Prozess der Konfliktbearbeitung Relevanz erreicht, versucht der Mediator diese in den Konfliktlösungsprozess einzubeziehen. Das setzt voraus, dass die Kulturen der Medianden durch den Mediator (z.B. an Symbolen und Handlungsmustern) zweifelsfrei erkannt und kompetent für die Konfliktlösung eingesetzt werden können. Dies birgt die Gefahr, sich in der Komplexität des Prozesses zu verlieren, sodass Ziele und Struktur der Mediation infrage gestellt werden.

Durch das kulturelle Handlungskonzept des Mediators sowie durch die daraus resultierenden verschiedenen Perspektiven auf den Konflikt eröffnet sich den Akteuren aber auch andererseits ein unbegrenztes Feld von Optionen. Die Ergebnisse der Mediation werden fundamentiert, da für die Lösungsoptionen nicht nur die individuellen Bedürfnisse der Medianden sondern vor allem auch die sich dahinter verbergenden Werte und Einstellungen sowie deren individuellen Lebenswelten berücksichtigt werden können. 

 



[1] Kriegel-Schmidt, K. [2012]: Interkulturelle Mediation: Plädoyer für ein Perspektiven-reflexives Modell; Band 9 von Kommunikation und Kulturen; LIT Verlag; Münster; S. 13

[2] Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 14

[3] Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 15

[4] Hofstede, G.; Hofstede, G. J. [2011]: in Beck-Wirtschaftsberater; Lokales Denken, globales Handeln – Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management; Von Geert Hofstede und Gert Jan Hofstede aus dem Englischen Übersetzt von Petra Mayer und Martina Sondermann; 5., durchgesehene Auflage; Deutsche Taschenbuch Verlag; München; S. 28

[5] Vgl. Kurz, W., K. [1991]: Suche nach Sinn - Seelsorgliche, logotherapeutische, pädagogische Perspektiven; Würzburg; S.240

[6] Vgl. v. Rosenstiel; L.; Comelli, G. [2003]: Führung zwischen Stabilität und Wandel, Verlag Franz Vahlen GmbH, München; S.22

[7] Vgl.: Hofstede, G.; Hofstede, G. J. [2011]: S. 4

[8] Vgl.: Layes, G. [2005]: 1.4 Kulturdimensionen; in: Thomas, A.; Kinast, E.-U.; Schroll-Machl, S. (Hg.) [2005a]: Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation; Band 1: Grundlagen und Praxisfelder; 2., überarbeitete Auflage; Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen; S. 60; f.

[9] Bildquelle: Neuliep, J.P. [2014]: Intercultural Communication: A Contextual Approach; SAGE Publications; USA; S. 391

[10] Loenhoff, J. [1992]: Interkulturelle Verständigung-Zum Problem grenzüberschreitender Kommunikation; S. 144; Zitiert nach: Scholz, A. [2000]: Verständigung als Ziel interkultureller Kommunikation: eine kommunikationswissenschaftliche Analyse am Beispiel des Goethe-Instituts; Band 1 von Kommunikation und Kulturen; LIT Verlag; Münster; S. 19

[11] Vgl.: Bolten, J. [2012]: Interkulturelle Kompetenz; 5. Ergänzte und aktualisierte Auflage; Landeszentrale für politische Bildung; Erfurt; S. 25

[12] Vgl.: Hansen, K. P. [2009]: Kultur, Kollektiv, Nation; Schriften der Forschungsstelle Grundlagen Kulturwissenschaft; 1. Auflage; Sturtz-Verlag; Passau; S. 121; ff.;   Vgl.: Hansen, K. P. [2010]:Kollektiv und Pauschalurteil; in: Barmeyer, Ch. I.; Genkova, P.; Scheffer, J. (Hrsg.) [2011]: Interkulturelle Kommunikation und Kulturwissenschaft: Grundbegriffe, Wissenschaftsdisziplinen, Kulturräume; 2. Ausgabe; Sturtz-Verlag; Passau; S. 81

[13] Vgl.: v. Rosenstiel, L.; et al. [1993]: Wertewandel – Herausforderung für die Unternehmenspolitik in den 90er Jahren; 2. überarb. Auflage; Schäfer-Poeschel Verlag; Stuttgart; S.19

[14] Vgl.: Bolten, J. [2012]: S. 25

[15] Vgl.: Thomas, A. [2005]: ]: 1.1 Kultur und Kulturstandards; 1.2 National- und Organisationskultur;   1.3 Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle;   In: Thomas, A.; Kinast, E.-U.; Schroll-Machl, S. (Hg.) [2005]: Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation; Band 1: Grundlagen und Praxisfelder; 2., überarbeitete Auflage; Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen; S. 97

[16] Vgl.: Hofstede, G.; Hofstede, G. J. [2011]: S. 4

[17] Vgl.: Thomas, A. [2005]: S. 24; ff.;     Vgl.: Bolten, J. [2012]: S. 25

[18] §1 Nr.1 Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577), das durch Artikel 135 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist);

[19] §1 Nr.2 Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577)

[20] Vgl.: §2 Nr.3 Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577)

[21] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 210; ff.

[22] Bildquelle.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 215

[23] Bolten, J. [2012]: S. 50

[24] Vgl.: Fischer, M. [2005]: Was wird aus der Kultur; Kulturphilosophie nach Kant; in: Ian Kaplow (Hsg.); Nach Kant: Erbe und Kritik; Band 1 von Philosophie aktuell; LIT Verlag Münster; S. 137

[25] Kant, I. [1787]: Kritik der reinen Vernunft; §27; Der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (oder Analytik der Grundsätze); Erstes Hauptstück;   Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe

[26] Fischer , M. [2005]: Was wird aus der Kultur; Kulturphilosophie nach Kant; in: Ian Kaplow (Hsg.); Nach Kant: Erbe und Kritik; Band 1 von Philosophie aktuell; LIT Verlag Münster; S. 136

[27] Vgl.: Bolten, J. [2012]: S. 55

[28] Bolten, J. [2012]: S. 57

[29] Vgl.: Bolten, J. [2012]: S. 57; f.

[30] Bildquelle: Eigene Darstellung

[31] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 222; ff.

[32] Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 79

[33] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 153

[34] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 150; ff.

[35] Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 93

[36] Vgl.: Kayales, Ch. [1998]: Gottesbilder von Frauen auf den Philippinen: die Bedeutung der Subjektivität für eine interkulturelle Hermeneutik; LIT Verlag; Münster S. 10; Scholz, A. [2000]: S. 19

[37] Vgl.: Neuliep, J.P. [2014]: Intercultural Communication: A Contextual Approach; SAGE Publications; USA; S. 391; Scholz, A. [2000]: S. 19

[38] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 238; ff.

[39] Vgl.: Lehmkuhl, U. [2002]: Zur kulturwissenschaftlichen Fundierung der Analyse außenpolitischen Entscheidungsverhaltens* - Ein Kulturkonzept ist nötig; Die Politische Meinung – Zeitschrift für Politik, Gesellschaft, Religion und Kultur; Ausgabe 1/2002; Sankt Augustin; S. 52; f.

[40] Bildquelle: Eigene Darstellung; vgl.: Lehmkuhl, U. [2002]: S. 54; f.

[41] Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 268

[42] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 267; ff.

[43] Bildquelle: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 275;

[44] auch wenn dieses Modell oft kritisiert wird, soll es hier wegen seiner Einfachheit verwendet werden

[45] Ch. Morris definierte 1956 in seiner Arbeit „Varieties of Human Value“ (The University of Chicago) die operativen Werte als Dispositionen oder Tendenzen, die bestimmen, was ein Mensch mag oder nicht mag, während verstandesmäßig erfasste Werte die Stellungnahme des Individuums zu seinen Verhaltensweisen beeinflusst.; Vgl.: Schlöter, B. [1993]: Soziale Werte und Werthaltungen: Eine sozialpsychologische Untersuchung des Konzepts sozialer Werte und des Wertwandels; Leske + Budrich; Opladen; S. 68

[46] Vgl.: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 183; f.

[47] Bildquelle: Rackwitz, A. [2008]: Die Transformation der Kulturtheorien; S. 143; Abb. 1;  Bildkopie aus: Kriegel-Schmidt, K. [2012]: S. 184; Abb. 2

[48] §1 Nr.1 Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577)

[49] §1 Nr.2 Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577);

[50] Vgl.: §2 Nr.3 Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577);

[51] Kiesow, R. M. [2005]: zitiert nach Kriegel-Schmidt [2012]: S.108

 

 

Quellenverzeichnis

Fachliteratur:

 

Bolten, J. [2012]: Interkulturelle Kompetenz; 5. Ergänzte und aktualisierte Auflage; Landeszentrale für politische Bildung; Erfurt;

 

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Hofstede, G.; Hofstede, G. J. [2011]:  in Beck-Wirtschaftsberater; Lokales Denken, globales Handeln – Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management; Von Geert Hofstede und Gert Jan Hofstede aus dem Englischen Übersetzt von Petera Mayer und Martina Sondermann; 5., durchgesehene Auflage; Deutsche Taschenbuch Verlag; München;

 

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Thomas, A. [2005]: 1.1 Kultur und Kulturstandards; 1.2 National- und Organisationskultur;   1.3 Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle;   In: Thomas, A.; Kinast, E.-U.; Schroll-Machl, S. (Hg.) [2005]: Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation; Band 1: Grundlagen und Praxisfelder; 2., überarbeitete Auflage; Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen;

  

Gesetze:

Mediationsgesetz (MediationsG) vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577), das durch Artikel 135 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist);